Mein Bruder Geld

Als ich aufwachte, war ich alleine im Raum, aber man hatte mir ein üppiges Frühstück hingestellt. Während meine Mitschüler sich im Unterricht plagten, genoss ich das Leben. Seltsamerweise tauchte Leila bereits kurze Zeit später auf. Einerseits freute ich mich, da ich aber erst später mit ihr gerechnet hatte, war ich noch nicht angezogen, sondern saß in T-Shirt und Unterhose auf meinem Bett. Natürlich kicherte sie, als sie mich so sah. Ich wurde rot und bat sie einen Moment draußen zu warten. Sie grinste immer noch, als sie wieder rein kam, kam aber schnell zur Sache: Noch gestern Abend hatte sie sich einen Plan ausgedacht. Der bestand einfach darin, Heisberg das Messgerät zu stehlen, damit Alex weiter damit arbeiten konnte. Dann könnte Alex die Erpressung beenden. Das ließ ich mit durch den Kopf gehen – gut ‚stehlen’ konnte man es ja wirklich nicht nennen, wenn man sich etwas zurückholte, was einem gehörte. Aber wie sollten wir das bewerkstelligen? Wir müssten Heisbergs Firma ausspionieren, ihn vielleicht beschatten und außerdem würde Heisberg wahrscheinlich sofort Alex verdächtigen und die Polizei würde das Gerät sofort bei Alex finden. Wer weiß, ob wir es überhaupt finden würden. Beim besten Willen – der Plan hinkte vorne und hinten. Als ich das Leila erklärte, musste sie mir einfach zustimmen. Ich bemerkte, wie traurig sie wurde und hätte sie am liebsten in den Arm genommen.
„Warum nimmst du mich nicht einfach in den Arm?“, fragte sie plötzlich.

Ich fand das war eine gute Idee und tat es, ich hoffte, sie würde mein Zittern nicht bemerken. Aber das war merkwürdig – ich zitterte gar nicht. Irgendetwas strömte durch meinen Körper und ich fühlte mich unglaublich wohl. Dieses Etwas gab mir eine Kraft, die ich bis dahin nicht kannte. Jetzt trat natürlich die Frage auf, ob ich irgendwie weitergehen konnte, ich meine Küssen oder so. Falls sie das nicht wünschte, wäre das das Ende unserer Freundschaft, also zögerte ich, weil ich es einfach nicht wusste. Dann bedankte sie sich plötzlich und es war klar, dass sie nicht mehr erwartet hatte, als einfach in den Arm genommen zu werden. Also hatte ich richtig gehandelt.
„Nun, ja“, sagte ich. „Wir müssen einen Trupp zusammenstellen, der die Aufgaben übernimmt.“
„Und wer soll in diesem Trupp sein? Meine Freunde dürfen davon nichts wissen.“
Mir war klar, dass ich jetzt doch auf ihren Vorschlag einging, aber irgendetwas mussten wir schließlich tun. „Na, ich habe ja auch noch Freunde.“ Die konnte ich allerdings an einer Hand abzählen, da mich alle anderen für einen Streber hielten.
„Das wäre ganz toll“, meinte Leila „Wie machen wir es?“
„Dumm ist, dass ich ja entführt wurde und mich weder blicken lassen noch jemanden anmailen kann.“
„Das stimmt. Ich kann ja die Kontakte knüpfen.“
Mir wurde bei dem Gedanken mulmig, dass Leila sich mit Jungs aus meiner Klasse traf, während ich hier versauerte, aber was sollten wir tun? Also schrieb ich ihr die in Frage kommenden Namen auf. Auf meiner Liste stand auch Markus aus der Parallelklasse, der keineswegs zu meinen Freunden zählte, aber wir brauchten auch jemand, der stark und kräftig war und die Meute zusammenhalten konnte. Ob das gut ging?

Noch am Vormittag ging Leila zu meiner Schule. Es war ja kein Problem für sie, Markus zu erkennen, denn sie kannte ihn ja bereits aus der Straßenbahn. In der Pause sprach sie ihn an und sagte, dass sie Hilfe bräuchte, um mich zu finden. Markus wunderte sich, dass ausgerechnet er ihr helfen sollte, aber natürlich konnte er ihr nicht widerstehen. Und so holte er alle zusammen, die auf meiner Liste standen. Dazu gehörten Said – klein aber flink, Sven – der Mädchenschwarm, Bruno – das Tüftelgenie und schließlich Salina – frech und mutig. Eigentlich wollte ich statt ihr Jennifer auf die Liste setzen, das einzige Mädchen, das mich wohl mochte, aber sie war zu brav und ängstlich. Der einzige echte Freund war eigentlich Bruno, aber bei der Zusammenstellung der Truppe, musste ich einfach über meinen Schatten springen, damit das operative Ziel unserer Unternehmung gewährleistet war. Dann bestand Markus noch darauf, Sven und Dirk aus seiner Clique dazu zu holen.

Die erste Aufgabe des Trupps bestand darin, Heisberg rund um die Uhr zu überwachen und alle seine Aktivitäten und Kontakte zu registrieren. Leila sollte mir dann regelmäßig berichten. Außerdem mussten wir ein Auge auf Alex werfen, damit er bei der Entführung alles richtig machte, beziehungsweise damit er es falsch machte, denn würde ich zu früh ausgelöst werden, könnten wir Heisberg nicht den Prototyp abluchsen. Leila erzählte dem Trupp, Heisberg oder Alex wären die mutmaßlichen Entführer, also mussten wir beide beobachten.

Als Alex am Abend wieder auftauchte, erläuterte er mir seinen Plan: Er hatte Vater bereits einen Brief geschrieben, in dem die Lösegeldforderung enthalten war. Aber er hatte noch keinen Termin oder Übergabeort genannt. Denn Vater bräuchte ja schließlich Zeit, das Geld zu besorgen. Ich hatte keine Einwände, schließlich gewannen wir somit Zeit. Alex wollte Vater am nächsten Tag über ein Prepaid-Handy anrufen und die weiteren Infos durchgeben. Ich drängte ihn, noch einen Tag damit zu warten und stellte es als psychologische Taktik dar. Das Opfer dürfe nicht den Eindruck haben, dass man selbst unter Druck stehe. Alex meinte zwar, dass für ihn jeder Tag zähle, aber ich konnte ihn schließlich überzeugen. In dieser Nacht wollte er in einem anderen Raum in der Lagerhalle schlafen, was mir auch ganz recht war, denn so konnte ich mich unbemerkt mit Leila austauschen, nach Hause hätte er sowieso nicht gekonnt, denn Leila berichtete mir, dass seine Wohnung von Privatdetektiven überwacht würde. Also hatte Vater die Polizei noch nicht eingeschaltet.

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