Mein Bruder Geld

Leila strahlte mich herausfordernd an und sagte, sie habe noch etwas für mich.
Ich war sehr gespannt. Vielleicht wollte sie mir jetzt ihre Zuneigung demonstrieren oder gar einen Liebesbeweis? Sie griff in ihre Tasche und zog mit verschwörerischer Miene ein Heft hervor.
„Das habe ich für dich gekauft.“
Ich schmolz dahin – für mich! Sie gab mir das Heft.
„Das sind eure Hausaufgaben“, sagte sie mit verführerischem Lächeln.
„Danke!“

Noch am Abend bekam ich die ersten Infos über Heisberg. Said und Sven hatten sich vor seinem Firmengebäude auf die Lauer gelegt und zwei Treffen mit möglichen Geschäftspartnern beobachtet. Danach verließ er das Firmengebäude und stieg in seinen Wagen. Der wieselflinke Said verfolgte ihn auf seinem Skateboard durch die Stadt bis zu einem Notar.
Aber Said berichtete noch etwas anderes: Anscheinend wurde auch Heisberg beschattet, denn zwei Männer waren ihm im Auto bis zum Notar gefolgt. Said verständigte Markus, weil er befürchtete, dass er die Verfolgung nicht alleine fortsetzen konnte. Markus informierte dann Sven und Dirk, beide exzellente Biker, und die übernahmen rechtzeitig, bevor Said aufgeben musste. Die Fahrt ging bis zu Heisbergs Privathaus. Nachdem er in das Haus gegangen war, warteten die beiden Verfolger eine Weile. Dann stieg einer aus und suchte sich Deckung, um das Haus zu beobachten. Der andere fuhr weg, Sven folgte ihm.
Ich ließ mir die Verfolger beschreiben. Einer war groß, blond und trug gescheiteltes Haar. Der andere kleiner und etwas dicker mit lockigem Haar. Mir stockte der Atem. das waren Alex’ Leute. Deshalb hatte ich sie heute noch nicht gesehen. Später erfuhr ich von Sven, dass der Blonde, also Bernd, zu Heisbergs Firma gefahren war und dort das Gebäude beobachtete. Der andere – wie ich wusste, hieß er Max – observierte Heisbergs Haus bis dieser ins Bett ging. Es muss wohl schon spät in der Nacht gewesen sein, als ich versuchte, mir auf alles einen Reim zu machen. Vorher war Alex noch einmal reingeschneit, hatte etwas zerstreut gewirkt und unbedeutenden Smalltalk gemacht, er fragte mich zum Beispiel, wie es mir geht, schien sich aber nicht wirklich dafür zu interessieren.
Ich dachte also nach: Alex inszenierte eine Entführung, um mit dem Lösegeld seinen Prototyp und die Firmengeräte auszulösen. Gleichzeitig versuchte er jedoch auf anderen Wegen bei Heisberg an etwas heranzukommen. Machte das Sinn? Während ich weiter nachdachte, muss ich wohl eingeschlafen sein.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war mein erster Gedanke, wer denn am Vormittag die Beschattungen übernehmen sollte, es würde auffallen, wenn alle blau machten. Und dann erschien plötzlich Leila. Verblüfft fragte ich sie, ob sie keine Schule hätte.
Sie verdrehte die Augen „Wir haben Samstag, Oliver!“
„Samstag? Oh, das muss ich irgendwie nicht mitbekommen haben. Aber die Hausaufgaben …?“
„Die waren für nächste Woche.“
Dann teilte sie mir den Einsatzplan für den heutigen Tag mit. Ich war erstaunt, als sie Bruno erwähnte, den hielt ich für eine Beschattung nicht für geeignet.
„Wer spricht denn von Beschattung? Er soll die Alarmanlagen knacken.“
Hatte ich irgendetwas nicht mitbekommen? „Welche Alarmanlagen?“
Sie winkte vor meinem Gesicht hin und her „Hallo? Die von Heisbergs Haus und Firma.“
Ich muss wohl ausgesehen haben, als ob ich ekliges Ungeziefer gegessen hätte – ihr wisst schon: ‚Holt mich hier raus’.
„Ich bin doch nicht blöd“, erklärte Leila. „Wir können doch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Wir holen uns die Sachen, ohne dafür einen Cent Kohle abzudrücken und kassieren zusätzlich die Knete.“
Jetzt sah ich wohl aus wie ein Beteiligter nach mindestens ein Dutzend ‚Holt mich hier raus’ Sendungen.
„Halb so wild“, fuhr sie fort. „Du kennst Alex, er ist ein brillanter Forscher, aber er hat keine Ahnung, wie er seine Forschungen finanzieren soll und keine Ahnung, wie man einbricht.“
„Das heißt, du …du … das ist … ist deine Idee?“ Jetzt stotterte ich auch noch.
„Und wenn? Du kennst Alex doch inzwischen. Das hätte er doch nie auf die Reihe bekommen.“
Jetzt hatte ich einen Verdacht. „Und die Entführung? War das auch deine Idee?“
„Und wenn? Was macht das für einen Unterschied? Können wir jetzt weitermachen, oder machst du einen Rückzieher?“

Bis jetzt war ich nur Opfer einer Entführung, was strafrechtlich nicht von Belang ist. Aber wenn ich jetzt bei der Planung eines Einbruchs mitmachte, würde das anders aussehen. Leila blickte mich mit zusammengekniffenen Augen herausfordernd an. Ich erinnerte mich an ihre Unterzuckerung, bei der sie so hilflos wirkte. Hilflosen Mädchen muss man als ‚Mann’ einfach helfen, aber jetzt war sie genau das Gegenteil und ich stand vor der Gefahr als Schwächling dazustehen. Das konnte ich natürlich gegenüber einer schönen Frau nicht riskieren. Aber ein wenig Widerstand regte sich noch in mir. „Wenn du das alles organisierst, wozu brauchst du mich eigentlich?“ Diese Frage war wohl ein Fehler, denn sie verzog ihre Mundwinkel, als ob ihr etwas weh täte und sagte mir damit, wie dumm ich war. Ich musste schnell reagieren. „Na, klar, ohne mich hättest du das Team nicht zusammenstellen können.“
„Eben, mit Alex und seinen Jungs alleine hätte das nie funktioniert. Ich hätte auch schlecht andere Erwachsene um Hilfe bitten können. Außerdem können wir mit nur mit deinen Computerkenntnissen die Alarmanlagen austricksen.“

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