Aber nicht gleich aufessen!

„Schockiert es dich?“
„Zugegeben, zunächst war ich etwas baff.“
„Hast du geglaubt eine 35jährige sei noch Jungfrau?“
„Nein, aber ich hätte deinen Sex als eher konventionell eingestuft.“
„Einmal die Woche bei Kerzenschein und Schmusemusik?“
„Vielleicht.“
„Männer dürfen ihre Phantasien ausleben, Frauen nicht?“
„Natürlich dürfen sie das, aber …“
„Aber du hast nicht gedacht, dass ich das tue?“
„Nun ja.“
„Gut, ich habe mich auch gefragt, warum ich dir das erzähle. Ich wollte einfach nicht, dass du mich für etwas hältst, was es nicht gibt.“
„Was gibt es nicht?“
„Eine Frau, die genau dem entspricht, was ein Mann sich vorstellt.“
„Ich bin nicht naiv.“
„Vielleicht habe ich es dir auch deswegen erzählt, weil ich mich selbst besser kennen lernen möchte.“
„Als eine Art Therapie?“
„Nenn es, wie du willst. Ich kann mich jedoch nur einbringen, in deine Geschichte einbringen, wenn du mich realistisch siehst.“
„Ich glaube, dass hast du schon gut geschafft.“
„Gut, lass uns diesen Aspekt beenden. Was willst du wissen?“
„Hast du einen Traum? Einen, der dir wirklich etwas bedeutet?“
„Ich möchte reisen, entdecken, was ich noch nicht kenne. Daher auch meine Liebe zum Film, bei dem auch Reisen zu Geschehen möglich sind, die man nie selbst erfahren wird. Aber die eigene Erfahrung steht oben an.“
„Was mich an dir fasziniert hat, war wie ungewöhnlich leichtfüßig du zwischen ernsten und sagen wir mal oberflächlichen Dingen oder Themen wechseln kannst. Es wirkt auf mich, als ob du durchs Leben tanzt.“
Debra wirkte plötzlich von einem Augenblick zum anderen seltsam konsterniert.

Als er Jeanne beim Ankleiden betrachtete, verspürte er wieder einen Hauch dieses ungewohnten Behagens, das für ihn vollkommen neu war. Ihn hatte diesmal nicht Jeannes Körper erregt, sondern die Vorstellung, sie zu lieben. Er dachte, dass Männer sexuell sehr schnell erregt werden können, dann wohl noch, je nach Niveau unterscheiden, was sie zur Erregung bevorzugen – Brünette, Blonde, Schmale, Üppige oder bestimmte Praktiken – aber diese Schemata waren austauschbar, während Merten noch nie erlebt hatte, dass ihn die Liebe selbst körperlich erregt hatte. 

Zwill betrachtete seine Zeilen und war versucht, sie wieder zu löschen. Wie konnte er jetzt schon über Liebe schreiben? Viel zu früh! Außerdem hatte es etwas von Herz-Schmerz-Romantik, die ihm eigentlich zuwider war. Aber später – ja, später könnte er seinen Figuren durchaus gönnen, dass sie sich wirklich liebten. Liebe, was war das? Debra? Natürlich hatte er beim Schreiben an Debra gedacht. Zwill löschte die Passage, wohl wissend, dass er die Zeilen nie vergessen würde und verbesserte sie.

Merten schlug die Augen auf und sah, dass Jeanne bereits aufgestanden war und sich anzog. Er richtete sich ein wenig auf, was sie bemerkte und ihn daraufhin stirnrunzelnd anblickte. Aber er nahm das Stirnrunzeln gar nicht wahr, sondern reckte sich, wohlig seufzend. „Schön, dass du wieder da bist“, sagte er mit belegter Stimme.

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