Nächtlicher Flügelschlag

Der selbständige Computerexperte Langen entdeckt die Verwicklungen eines Auftraggebers in Schmuggelgeschäfte und Mädchenhandel. Ihm gelingt es ein entführtes Mädchen zu befreien, muss sie aber verstecken bis sie außer Gefahr ist.

 

Langen streckte sich in seiner verwüsteten Wohnung auf einer Liege aus, blinzelte durch das geöffnete Fenster in die Sonne und sann über die Geschehnisse der letzten Tage nach. Eine Frage kehrte immer wieder und hämmerte in seinem Hirn: Würde Tanja noch leben, wenn er sich nicht eingemischt hätte? Er wälzte die verschiedenen Alternativen und kam zu keinem endgültigen Schluß. Und was war mit Nicole? Er hatte seit Tagen nichts mehr von ihr gehört. Er war wieder alleine. Der Unterschied zu vorher bestand darin, daß er jetzt wirklich mal aufräumen mußte. Gerade als er damit beginnen wollte, klingelte das Telefon.
„Japanisch?“

Selbst der fast sternenklare Himmel, an dem sich soeben der auf-gehende Vollmond durch zwei Kumuluswolken schob, konnte die Tristesse des Hemmersberger Gewerbegebiets nicht mildern. Die Lagerhallen, Bürogebäude und vereinzelten Produktionsstätten waren zudem nach Feierabend menschenleer.
Nach einem kurzen Blick aus dem Fenster wendete Langen sich den Büroräumen der ersten Etage zu. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen und lauschte aufmerksam. Alles, was er vernahm, war sein Herzschlag, kräftig, aber regelmäßig. Lan-gen war weniger aufgeregt als er erwartet hatte. Ein Szenario, das er bestenfalls aus Krimis kannte: Ein Mann tastet sich im Licht-kegel der Taschenlampe durch dunkle Gänge. Wie hieß noch gleich der Darsteller aus Mission Impossible? Er konnte sich die-se Schauspielernamen nie merken – mit Musikern ging es ihm da anders. Der Vergleich mit dem FBI-Hauptquartier ließ ihn schmunzeln.
Bernhard Langen konzentrierte sich nun auf sein Vorhaben. Die Räumlichkeiten waren ihm vertraut genug, um ohne Zögern sein Ziel anzustreben: die Disposition, in der sich der Zentralrechner der Spedition Kosped befand. Noch einige Schritte trennten ihn von der Tür, als ihn ein Geräusch aufschrecken ließ. Ein hartes Klacken wiederholte sich drei- viermal. Langen suchte hinter ei-nem Wandvorsprung Schutz. Jetzt vernahm er ein schleifendes Rollen mit kurzen Unterbrechungen. Er kannte das Geräusch.
„Oh, nein!“ Langen stellte sich in die Mitte des Gangs und leuchtete dem nahenden Unheil entgegen. Eine Kehre und Daniel stoppte fünf Zentimeter vor seinem Chef.
„Du solltest doch unten bleiben, verdammt nochmal.“ Langen mußte zu dem ansonsten Gleichgroßen aufblicken. Die Inline-skates sorgten gut und gerne für fünf Zentimeter Größen-unterschied.
„Draußen ist es zweimal so tot wie auf dem Hemmersberger Friedhof.“
„Du wirst dich doch wohl noch zehn Minuten gedulden können, das ist doch kein Spaß hier.“
„Schade eigentlich. Aber glaub mir, es fährt noch nicht mal ein Auto vorbei, geschweige denn irgendein lebendiges Wesen.“
Langen seufzte, wahrscheinlich hatte Daniel Recht. Die Spedi-tion lag abgelegen, es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn jemand um diese Zeit auftauchen sollte. „Also gut, viel-leicht kannst du mir hier oben sogar helfen.“
„Jedenfalls bist du nicht alleine.“
„Wie fürsorglich. So jetzt aber dalli, dalli.“
„Jawohl, Chef!“
„Ruhe!“
Langen leuchtete auf den Bund mit den Nachschlüsseln, nahm den gelbmarkierten Schlüssel und schloß die Tür zur Disposition auf. „Stell dich wenigstens ans Fenster!“
„Jawohl!“
„Sei nicht so albern!“
„Jawohl!“

Langen schaltete den Computer ein. Nach Eingabe des Pass-wortes gelangte er zügig in das Betriebssystem. Er wollte nicht zu gemein vorgehen und wirklich Schaden anrichten, ein Warn-schuss würde genügen. Dementsprechend hatte er das kleine Programm ausgelegt, das er verschlüsselt auf der Festplatte ableg-te. Jetzt brauchte er nur noch eine kurze Befehlskette in die Startupsequenz einfügen und beim nächsten Einschalten, würde sein Programm aktiviert und gleichzeitig der Startbefehl entfernt werden.
„Wo sind eigentlich die Trucks?“, fragte Daniel.
„Hinter dem Gebäude, sieht man von hier nicht.“
„Schade.“
Langen zog den Stick raus und verstaute ihn in seiner Jackenta-sche.
„Faszinierende Ungetüme. Kraft, Freiheit, endlose Highways, Einsamkeit … Brrr, Stress und Langeweile. Kein Job für mich“, folgerte Daniel.
Aus dem Augenwinkel nahm Langen einen Lichtschein war. Er blickte zu seinem Partner, der gelangweilt im Fenster stand. „Was war das?“
„Was?“
„Da schon wieder! Mensch paß doch auf! Das muß ein Auto-scheinwerfer sein.“
Jetzt erst blickte Daniel nach draußen. „Stimmt, da hält ein Wagen auf der anderen Straßenseite.“
„Verdammt!“
„Bist du fertig?“
„Gleich! Was siehst du?“
„Der Fahrer steigt aus.“
„Ich bin gleich soweit!“
„Er geht über … Nein! Er bleibt stehen.“
„Er bleibt stehen?“
„Ja, er lehnt sich an seinen Wagen und blickt hierhin.“
Langen schlug hektisch auf die Tastatur ein. „So, fertig!“
„Und jetzt? Der glotzt immer noch.“
„Laß mich mal sehen.“ Langen drängte Daniel zur Seite. „Den Typen kann ich ohnehin nicht erkennen. Aber den Wagen habe ich noch nie in der Firma gesehen. Ein alter Benz.“
„Was machen wir jetzt?“, fragte Daniel eher beiläufig.
„Gute Frage! Solange der da rumsteht, können wir hier nicht raus.“
„Hm. Sieht aus, als wartet der auf jemand.“
„Komischer Treffpunkt!“
„Sollen wir jetzt nervös werden?“
„Bist du´s noch nicht?“
„Noch nicht richtig. Vielleicht war es doch keine gute Idee, hier einzusteigen.“
„Dir gehen ja doch die Muffen, in deinem Alter sollte das nicht so schnell passieren. Du hattest aber auch keine bessere Idee, um sie unter Druck zu setzen.“
„Ich bin ja auch nur dein kleiner Angestellter. Aber jetzt werde ich doch unruhig.“
„Wieso?“
„Schau raus!“
Ein zweiter Wagen fuhr langsam bis auf Höhe des ersten. Der Wartende winkte dem Fahrer und bedeutete ihm anzuhalten.
„Den Wagen kenn ich, der gehört Waldmann, dem Buchhalter.“
Waldmann stieg aus und redete mit dem Fahrer des Benz. Nach einiger Zeit gestikulierten sie wild miteinander.
„Keine Liebe mehr unter den Menschen“, kommentierte Daniel.
„Wenn wir Glück haben, verschwinden beide, wenn sie sich ausgekotzt haben.“
„Wir haben kein Glück.“
Sie beobachteten wie Waldmann auf den Büroeingang zuging.
„Schnell wir müssen runter!“, rief Langen.
Sie spurteten bzw. rollten aus dem Büro.
„Wieso runter?“, wollte Daniel während ihrer Flucht wissen.
„Ich muß die Eingangstür abschließen!“
„Abschließen?“
„Klar, Mensch! Sonst merkt er was. Such dir schon mal ein Versteck!“

Sie hatten das Parterre erreicht und Daniel hechtete im Foyer hinter ein Blumenkübelarrangement. Langen versuchte, während er lief, den richtigen Schlüssel ausfindig zu machen – keine Chance, er mußte es auf Gut Glück probieren. Der erste war es nicht – keinen Zylinder versenkt. Daniel beobachtete den Wett-lauf gegen die Zeit und fragte sich, wohin sein Chef, falls er es denn schaffen würde, sich um Gottes Willen flüchten wollte. Langen hatte zunächst andere Probleme. Er stand schließlich hin-ter einer Glastür, sobald Waldmann in Sichtweite war, müßte er ihm einiges erklären. Der zweite Schlüssel paßte, er schloß um und sprang zur Seite. Die Deckung, die er dann einnahm, war mehr als unzureichend, sobald Waldmann sich nach dem Betreten des Foyers noch einmal umdrehen würde, hätte er jede Chance, den Eindringling zu entdecken.

Waldmann betrat das Foyer, hielt nach einigen Schritten inne als sei ihm etwas eingefallen, dann wendete er sich nach links, ging zum Schaltkasten der Alarmanlage und öffnete die Klappe. Er dachte nach.

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