Sie drehte sich entschlossen um und blickte ihn energisch an. „So das reicht! Dafür, dass du in mir nur eine Vorlage siehst, ist das wohl genug. Den Rest kannst du dir in Worten ausmalen.“
„Das kann der Autor, aber der Mann Zwill hat noch andere Interessen.“
„Ich bin mir nicht sicher, ob du das unterscheiden kannst.“
„Warum spielst du dann mit mir?“
„Ich gehe nur auf dein Angebot ein. Machen wir einen Termin? Wie willst du vorgehen? Nimmst du alles auf Tonband auf? Stellst du Fragen oder gibst du Stichworte? Wie lange wird eine Sitzung dauern?“
Zwill ging wie ein geprügelter Hund zum Tisch, auf dem sein Glas stand und nahm einen Schluck. „Entschuldige, ich wollte dir nicht zu nahe treten.“
„Indem du mich angefasst hast, bist du mir nicht zu nahe getreten. Wärest du kein Autor, hätte ich mich vielleicht sogar darauf eingelassen. Aber du willst keinen Spaß, sondern viel mehr von mir. Vielleicht muss ich dir Dinge erzählen, die ich noch nie jemandem erzählt habe.“
Zwill verstand sein Dilemma: Er konnte nicht beides haben, jedenfalls nicht zur gleichen Zeit. Und Debra hatte recht: Hätten sie miteinander geschlafen, wäre es etwas anderes, sie zu befragen. Die Intimität würde vieles verdecken, in ein anderes Licht rücken. „Aber die Frau, über die ich schreibe, war einmal mit dem fiktiven Autor liiert. Sie haben eine gemeinsame intime Erfahrung.“
„Aber es ist nicht deine Erfahrung, es ist deine Phantasie. Ich werde dir meine Erlebnisse mit einem Autor schildern und du kannst darüber schreiben, aber ich werde nicht mit dir schlafen, damit du darüber schreiben kannst. Denn dann würdest du nicht meine, sondern deine Sicht schildern. Also, wie entscheidest du dich?“
Hatte er eine Alternative? Sie hatten zulange über das gesprochen, was er vielleicht wirklich gewollt hatte und es damit unmöglich gemacht. Insgeheim bewunderte Zwill Debra für ihre Beurteilung der Situation und ruderte zurück. „Machen wir einen Termin!“
Jeanne begrüßte Merten als hätten sie sich am Vortag das letzte Mal gesehen. Sie musterte ihn dann gründlich und urteilte mit einem Kopfschütteln, dessen Bedeutung sich Merten nicht gleich erschloss. Aus seiner Sicht hatte sie sich kaum verändert, eine andere Frisur, einige kleine Fältchen im Gesicht – an die er sich jedenfalls nicht erinnern konnte. Erst später, als sie beim Essen die Haare zurückstrich, bemerkte er die kleine Narbe an der linken Schläfe. Er fuhr behutsam mit dem Finger darüber und fragte sie, was passiert sei.
„Das ist eine Erinnerung an eine Zeit, die nicht sehr angenehm war. Vielleicht erzähle ich dir später davon. Lass uns jetzt deinen Erfolg feiern und es uns richtig gut gehen lassen. Wie viel verdienst du? Erzähl! Was können wir uns jetzt leisten? Wollen wir uns nicht eine größere Wohnung suchen oder ein Haus?“
Merten schluckte, konnte nicht glauben, was er gehört hatte. Er hatte sich zwar nach Jeanne gesehnt, aber das ging ihm dann doch zu schnell. „Du weißt wie das ist, es dauert lange bis ein neues Buch fertig ist und die Kosten laufen weiter.“
„Willst du jetzt den Schwanz einziehen, mit dem du so lange gewedelt hast? Ich habe dein Buch gelesen und du hast mich darin so oft gevögelt, dass ich vom Lesen Schmerzen bekommen habe und jetzt redest du von Unkosten und willst keine Konsequenzen tragen? Ohne mich wärst du nicht da, wo du heute bist.“
„Jeanne, wir haben uns lange nicht gesehen und wir können nicht gleich da anknüpfen, wo wir aufgehört haben. Was erwartest du? Ich brauche ein wenig Zeit.“
„Zeit? War ich nicht lange genug weg, damit du dir wirklich klar werden konntest, was du von mir willst?“
Merten wusste, dass es stimmte. Er hatte ihr in seinem Buch ohne Umschweife seitenlange Liebeserklärungen gemacht und jetzt, da sie ihm gegenüber saß, hatte er nicht den Mumm, dazu zu stehen. Er griff nach ihrer Hand, die ein Weinglas umfasste und streichelte zart über den Handrücken. Sie mochte zarte, ganz zarte Berührungen.
„Ich rief ihn in die Umkleidekabine und gab vor, er solle das Oberteil begutachten. Ich zog den Vorhang zu und das Oberteil wieder aus. Da er nicht gleich wusste, auf was ich hinauswollte, nahm ich seine Hände und legte sie auf meine Brüste. Er verstand und es dauerte nicht lange bis wir auf dem Boden der Umkleide lagen und bald schweißüberströmt waren. Gerade als wir die Stellung wechselten und ich mich hinkniete, damit er es mir von hinten besorgen konnte, öffnete jemand den Vorhang. David hatte das gar nicht mitbekommen und machte einfach weiter, aber ich lächelte die ältere Frau an, deren Gesichtsausdruck daraufhin von entsetzt zu mitleidig bis anteilnehmend wechselte. Ich bin ihr bis heute dankbar, dass sie dann lauthals verkündete: ‚Dat is hier `ne schwierige Anprobe. Dat kann dauern‘.“
Auch Zwill – bislang eher distanziert – lachte an dieser Stelle wie Debra es tat.
Dies war nur eine von ihren Storys, die ein breites Spektrum erotischer Spielarten abdeckten. Keineswegs war es so, dass er sie gebeten hatte, sexuelle Eskapaden zu berichten – er hatte sie sich eher als in dieser Hinsicht zurückhaltend vorgestellt, denn sie wirkte mitunter eher schüchtern und in der Kombination mit ihrer verbindlichen Freundlichkeit nahezu unberührbar. Aber vielleicht kehrte sie gerade deshalb ihre andere, wilde Seite heraus, weil sie spürte, welch ein falsches Bild er sich von ihr machte.